Noch viel reichhaltiger wäre das Angebot rund um die Hauptstadt, denn lange bevor der gelernte Apotheker mit seinen Romanen reüssierte, setzte er seiner Heimat mit den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ ein bis heute nachwirkendes Denkmal. Seinem Verleger gegenüber beschrieb er die Elemente dieser Erzählungen folgendermaßen: „Schloss-, Park- und Landschaftsbeschreibungen, Historisches, Anekdotisches, Familienkram und Spukgeschichte.“ Heraus kam eine fünfbändige Beschreibung von Land und Leuten, die mit ihrer in teils literarischem, teils journalistischem Stil verfassten Kombination von nüchterner Beschreibung und Faktenvermittlung und episodenhafter Erzählung das Genre der Reiseliteratur mitbegründete.
Wieso also fahren wir nach Dänemark, zu dem Schloss, das in Fontanes 1892 erschienenen Roman „Unwiederbringlich“ ein zentraler Handlungsort ist? Der Literaturkritiker Denis Scheck schreibt in seinem Buch „Schecks Kanon – Die 100 wichtigsten Werke der Weltliteratur“ über den Berliner Autor: „Fontane liefert in seinen großen Romanen einen Spiegel der bestimmenden politischen und gesellschaftlichen Kräfte seiner Zeit und seines Staates……“. In „Unwiederbringlich“ befasst sich Fontane mit einem Aspekt der europäischen Geschichte, der heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist und doch eine große Rolle spielt, wenn wie uns auf den Weg machen, unseren europäischen Kulturraum zu entdecken. An der Frage der Zugehörigkeit Schleswigs und Holsteins wird deutlich, wie schwierig und teilweise zufällig sich die Bildung von Nationen entwickelte. Offensichtlich wird auch, wie stark der einzelne Mensch oft zwischen den Ansprüchen konkurrierender Staaten oder Königshäuser hin- und hergerissen wurde.
Die Geschichte des Romans ist nicht sensationell: wohlbestallter Landedelmann, gut verheiratet mit netter Familie, der auch als Kammerherr am Hofe einer Prinzessin dient, verliebt sich in ein keckes Hoffräulein. Liebestoll geworden, verlässt er seine Familie, doch das Hoffräulein weist ihn zurück….
Zu großer Literatur wird dieser eigentlich banale Stoff durch die Erzählkunst Fontanes. Gesellschaftskritik, Lebensweisheiten, theologische Überlegungen, Landschaftsbeschreibung, Geschichte und Politik finden sich in geistreichen Dialogen, klugen Beobachtungen und farbigen Schilderungen wieder. So bietet der Roman ein lebendiges Panorama seiner Zeit, der Jahre 1859 bis 1861.
Angesiedelt ist die Handlung auf dem fiktiven Schloss Holkenäs im Herzogtum Schleswig, dem Sitz der Familie des Grafen Helmuth von Holk sowie in Kopenhagen und auf dem Schloss Frederiksborg – im Gegensatz zu Holkenäs ein sehr reales Schloss, vor dem wir gerade stehen. Dieser Rahmen von Zeit, Personen und Orten bietet Fontane die Möglichkeit, ein interessantes Kapitel der Geschichte des Ostseeraums auszurollen. Der Roman spielt wenige Jahre vor dem Deutsch-Dänischen Krieg. Das Herzogtum Schleswig ist gemeinsam mit dem Herzogtum Holstein seit Jahrhunderten Teil des Königreichs Dänemark. Deshalb ist es ganz selbstverständlich, dass ein Adeliger, wie der Graf von Holk, zum Hofdienst nach Kopenhagen und nicht nach Berlin, an den Hof der Könige von Preußen, fährt. Aber die nationalstaatlichen Bewegungen der Zeit machen auch vor dieser Region nicht halt. Preußen und Österreich erheben Besitzansprüche. Die Menschen vor Ort schwanken zwischen ihrer traditionellen Bindung an Dänemark und dem neuen Reiz nationalstaatlicher Gedanken. Chancen oder Gefahren einer zu erwartenden und vielleicht auch zu befürchtenden preußischen Dominanz sind Tagesgespräch. All diese Diskussionen ziehen sich wie ein roter Faden durch den Roman. So stellt Helmuth von Holk kritisch fest: „Und wir werden preußisch werden, und eine Pickelhaube wird auf eine Stange gesetzt werden wie Geßlers Hut, und werden davor niederknien und anbeten.“ Worauf seine Frau Christine erwidert: „Was Gott verhüte. Deutsch, aber nicht preußisch, so soll es sein. Ich bin gut schleswig-holsteinisch allewege.“