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Frederiksborg

 

9. Station:  Fontane an unerwartetem Ort - Schloss Frederiksborg/Dänemark
04. Juli 2020

Es ist ein erhabenes Bauwerk, das sich aus dem kleinen See erhebt, umgeben von einer nicht minder beeindruckenden, sich scheinbar endlos hinziehenden, prächtigen Gartenanlage mit Barock- und Landschaftsgarten im englischen Stil. Und der erste Eindruck täuscht nicht. Der rote Backsteinbau gilt als das größte und bedeutendste Renaissancegebäude Skandinaviens. Erbaut wurde  Schloss Frederiksborg im 16. und 17. Jahrhundert, in einer Zeit, als Dänemark zeitweilig zu den europäischen Großmächten gezählt werden durfte. Gedacht war es als Jagdschloss. Tatsächlich war es dann aber viele Jahrhunderte lang weit mehr. Könige wurden in der Schlosskapelle gesalbt und Hochzeiten der königlichen Familie gefeiert.
Zwei Dinge würde man aber nicht vermuten, wenn man nach kurzer Anfahrt aus Kopenhagen über die massive Steinbrücke auf das reich verzierte Schlosstor zugeht: dass das Schloss bei einem Großbrand in der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 1859 beinahe ein Raub der Flammen geworden wäre. Ein schneller und vollständiger Wiederaufbau sorgte dafür, dass die Spuren dieser Nacht schon lange nicht mehr sichtbar sind.

Ebenso deutet nichts darauf hin, dass dieses dänische Schloss der Ort unserer Europareise ist, an dem wir uns an den Dichter Theodor Fontane erinnern. Kein anderer deutscher Dichter wird so sehr mit Berlin, Preußen und dem Deutschen Kaiserreich des 19. Jahrhunderts in Verbindung gebracht, wie der 1819 im brandenburgischen Neuruppin geborene und 1898 in Berlin verstorbene vielseitige Schriftsteller. Elf seiner siebzehn Romane spielen in Berlin. Er liefert lebendige, oft durchaus ironische Beschreibungen seiner Stadt und ihrer Menschen. Auch wenn sich durch die Zerstörungen des 2. Weltkriegs viele Gebäude, Plätze und Straßen nur noch in den Werken Fontanes erhalten haben, hätten sich etliche Theodor-Fontane-Erinnerungsorte angeboten.
Noch viel reichhaltiger wäre das Angebot rund um die Hauptstadt, denn lange bevor der gelernte Apotheker mit seinen Romanen reüssierte, setzte er seiner Heimat mit den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ ein bis heute nachwirkendes Denkmal. Seinem Verleger gegenüber beschrieb er die Elemente dieser Erzählungen folgendermaßen: „Schloss-, Park- und Landschaftsbeschreibungen, Historisches, Anekdotisches, Familienkram und Spukgeschichte.“ Heraus kam eine fünfbändige Beschreibung von Land und Leuten, die mit ihrer in teils literarischem, teils journalistischem Stil verfassten Kombination von nüchterner Beschreibung und Faktenvermittlung und episodenhafter Erzählung das Genre der Reiseliteratur mitbegründete.

Wieso also fahren wir nach Dänemark, zu dem Schloss, das in Fontanes 1892 erschienenen Roman „Unwiederbringlich“ ein zentraler Handlungsort ist? Der Literaturkritiker Denis Scheck schreibt in seinem Buch „Schecks Kanon – Die 100 wichtigsten Werke der Weltliteratur“ über den Berliner Autor: „Fontane liefert in seinen großen Romanen einen Spiegel der bestimmenden politischen und gesellschaftlichen Kräfte seiner Zeit und seines Staates……“. In „Unwiederbringlich“ befasst sich Fontane mit einem Aspekt der europäischen Geschichte, der heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist und doch eine große Rolle spielt, wenn wie uns auf den Weg machen, unseren europäischen Kulturraum zu entdecken. An der Frage der Zugehörigkeit Schleswigs und Holsteins wird deutlich, wie schwierig und teilweise zufällig sich die Bildung von Nationen entwickelte. Offensichtlich wird auch, wie stark der einzelne Mensch oft zwischen den Ansprüchen konkurrierender Staaten oder Königshäuser hin- und hergerissen wurde.

Die Geschichte des Romans ist nicht sensationell: wohlbestallter Landedelmann, gut verheiratet mit netter Familie, der auch als Kammerherr am Hofe einer Prinzessin dient, verliebt sich in ein keckes Hoffräulein. Liebestoll geworden, verlässt er seine Familie, doch das Hoffräulein weist ihn zurück….
Zu großer Literatur wird dieser eigentlich banale Stoff durch die Erzählkunst Fontanes. Gesellschaftskritik, Lebensweisheiten, theologische Überlegungen, Landschaftsbeschreibung, Geschichte und Politik finden sich in geistreichen Dialogen, klugen Beobachtungen und farbigen Schilderungen wieder. So bietet der Roman ein lebendiges Panorama seiner Zeit, der Jahre 1859 bis 1861.

Angesiedelt ist die Handlung auf dem fiktiven Schloss Holkenäs im Herzogtum Schleswig, dem Sitz der Familie des Grafen Helmuth von Holk sowie in Kopenhagen und auf dem Schloss Frederiksborg – im Gegensatz zu Holkenäs ein sehr reales Schloss, vor dem wir gerade stehen. Dieser Rahmen von Zeit, Personen und Orten bietet Fontane die Möglichkeit, ein interessantes Kapitel der Geschichte des Ostseeraums auszurollen. Der Roman spielt wenige Jahre vor dem Deutsch-Dänischen Krieg. Das Herzogtum Schleswig ist gemeinsam mit dem Herzogtum Holstein seit Jahrhunderten Teil des Königreichs Dänemark. Deshalb ist es ganz selbstverständlich, dass ein Adeliger, wie der Graf von Holk, zum Hofdienst nach Kopenhagen und nicht nach Berlin, an den Hof der Könige von Preußen, fährt. Aber die nationalstaatlichen Bewegungen der Zeit machen auch vor dieser Region nicht halt. Preußen und Österreich erheben Besitzansprüche. Die Menschen vor Ort schwanken zwischen ihrer traditionellen Bindung an Dänemark und dem neuen Reiz nationalstaatlicher Gedanken. Chancen oder Gefahren einer zu erwartenden und vielleicht auch zu befürchtenden preußischen Dominanz sind Tagesgespräch. All diese Diskussionen ziehen sich wie ein roter Faden durch den Roman. So stellt Helmuth von Holk kritisch fest: „Und wir werden preußisch werden, und eine Pickelhaube wird auf eine Stange gesetzt werden wie Geßlers Hut, und werden davor niederknien und anbeten.“ Worauf seine Frau Christine erwidert: „Was Gott verhüte. Deutsch, aber nicht preußisch, so soll es sein. Ich bin gut schleswig-holsteinisch allewege.“
Fontane, der über Jahrzehnte hauptsächlich als Journalist und Theaterkritiker schrieb, konnte bei der Niederschrift dieses Werks aus einer besonderen Erfahrung schöpfen, die fast ein Vierteljahrhundert zurück lag. Mehrmals hatte er in der preußischen Kreuzzeitung zur Schleswig-Holstein-Frage veröffentlicht und so lag es nahe, dass das Blatt ihn 1864 im Deutsch-Dänischen Krieg als Kriegsberichterstatter nach Schleswig und Dänemark entsandte. Die Zeitungsartikel erweiterte er zwei Jahre später zu dem Band „Der Schleswig-Holsteinische Krieg im Jahre 1864“. Die ersten Kapitel des Werks sind übrigens mit „Schleswig-Holstein: Land und Leute“ und „Schleswig-Holsteins Geschichte“ überschrieben. In „Unwiederbringlich“  ließ Fontane seine Erfahrungen und Erkenntnisse aus dieser Zeit nun in einen Roman einfließen.


Im Vergleich mit der Beschreibung im Werk Fontanes erscheint Schloss Frederiksborg nahezu unverändert „mit seinen Giebeln und Türmen und seinen hundert Wunderlichkeiten an jedem Tragstein und Kapitell.“ Und doch ist alles anders. In den Räumen von einst erwarten uns keine Könige und Prinzessinnen und keine Kammerherrn und Hofdamen mehr. Dafür umso mehr wertvolle Kunstgegenstände. Nach dem großen Brand entschied sich die königliche Familie, das Schloss nicht mehr für Wohnzwecke zu nutzen. Die erwarteten Sanierungs- und Wiederaufbaukosten hätten vermutlich die damals recht angespannten Staatsfinanzen überstrapaziert. Es war dann einer der reichsten Däne seiner Zeit, Jacob Christian Jacobson, der Gründer der Carlsberg Brauerei, der sich dieser Aufgabe annahm und mit seiner großzügigen Stiftung Platz für das neugeschaffene Nationalhistorische Museum Dänemarks schuf, das 1878 hier einzog.
Der Teil des Schlosses, der beim Brand 1859 unversehrt blieb, wurde ins Museum integriert. Die zerstörten Räume wurden teilweise nahe am Original restauriert und so bietet sich uns heute noch der Anblick, den Theodor Fontane vor Augen hatte, als das er den Frederiksborger Teil seiner Erzählung schrieb. So könnte das gewaltige Gemälde einer Seeschlacht mit vielen dänischen Wimpeln durchaus das Gemälde sein, über das die Abendgesellschaft so intensiv diskutierte. Und in der üppig verzierten Schlosskirche ließ Fontane in der Nacht des Feuers die verängstigten und schockierten Schlossbewohner Zuflucht finden. Aber auch ohne Rückkoppelung mit dem Roman lohnt der Besuch dieses Nationalhistorischen Museums. Vergoldete Decken, prächtige Wandteppiche, erlesene Gemälde und wertvolle Möbel künden vom Reichtum vergangener Epochen und gehen in ihrer Qualität und Vielfalt über die Einrichtung eines einzelnen Schlosses weit hinaus. Außergewöhnlich ist die Abteilung „Historienmalerei“. Alte und neue Historiengemälde finden sich hier zusammen und immer wieder wird die Sammlung ergänzt. Teilweise durch Anschaffung von Werken vergangener Epochen, teilweise durch Aufträge an zeitgenössische Maler.

Ein Besuch auf Schloss Frederiksborg wäre unvollständig ohne einen ausgiebigen Bummel durch die kaum zu überschauenden Schlossgärten. Zuerst betritt man einen klassischen Barockgarten, im Stil des 18. Jahrhunderts streng symmetrisch  angelegt mit entsprechend gestutzten Eiben- und Buchshecken, die wahre Labyrinthe in die Landschaft zeichnen. Nahtlos geht er über in einen Landschaftsgarten im englischen Stil. Hier steht das Erlebnis der Natur im Mittelpunkt, nicht mehr die strenge Symmetrie und Ornamentik der Anpflanzung. Freistehende, einzelne Bäume, Rasenflächen, Bachläufe, Seen, verschlungene Wege und wild wuchernde Waldgebiete wechseln einander ab und ergänzen sich. Die Zeit scheint stehen geblieben. Insgeheim rechnet man damit, dass gleich der Hofstaat der Prinzessin, angeführt von Graf Helmut von Holk und dem adeligen Fräulein Ebba von Rosenberg, um die Ecke kommt.
Auf der (auch deutschsprachig verfügbaren Homepage des Nationalhistorischen Museums Dänemarks finden sich Informationen zu Schloss und Museum.
Schloss Frederiksborg
Das Theodor-Fontane-Archiv bietet eine interessante Seite zum Stöbern für Theodor-Fontane-Liebhaber an. Die zahlreichen digitalisierten handschriftlichen Texte des großen Autors sind für sich schon ein Online-Museum.
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