Das kleine und beschauliche Residenzstädtchen Weimar war zu Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein zentraler Ort der europäischen Geisteswelt. Mit Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich von Schiller, Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland wirkten hier gleichzeitig vier herausragende Intellektuelle. Gemeinsam sollten sie den Begriff der Weimarer Klassik prägen und unter dem Einfluss von Aufklärung, Sturm und Drang und Romantik Literatur hervorbringen, die oft als Höhepunkt der deutschen Nationalliteratur bezeichnet wird. In ihrem Werk schlossen sie an die großen Denker der Antike und die klügsten Köpfe der Neuzeit an. Sie wiederum wurden zum Bezugspunkt für die folgenden Gelehrtengenerationen in unterschiedlichsten Sprachräumen. Weimar ist die Heimat einer zentralen Säule der gemeinsamen, Europa überspannenden, kulturellen Identität. Grund genug für das LeseZeichen, sich etwas genauer in dieser Stadt umzusehen, die sich selbst als Kulturstadt bezeichnet.
Der Markt im Herzen Weimars mit Rathaus, Stadthaus, Cranach-Haus und Hotel Elephant ist der zentrale Anlaufpunkt im Zentrum der Stadt. Unzählige Reisegruppen aus aller Welt warten hier sommers wie winters erwartungsvoll auf ihre Gästeführer, gespannt auf Entdeckungen im Zentrum der deutschen Klassik. Auch für einen individuellen Rundgang eignet sich dieser Platz als Ausgangspunkt. Die wichtigsten Gedächtnisorte sind alle nur wenige Schritte entfernt. Wir lassen die Wohnhäuser von Goethe und Schiller, das Nationaltheater und all die bedeutenden Sehenswürdigkeiten erst einmal rechts und links liegen und starten zu einem kleinen Morgenspaziergang. Vorbei am Stadtschloss führt uns der Weg aus der Innenstadt hinaus. Als Johann Wolfgang Goethe (das Adelsprädikat kam erst 1782 dazu) 1775 im Alter von 26 Jahren in die thüringische Kleinstadt zog, stand hier eine deprimierende Brandruine. Ein Jahr zuvor war das alte Schloss abgebrannt. Der Wiederaufbau war lange Zeit fraglich und startete erst Jahre später. Chef der Schlossbaukommission war Johann Wolfgang von Goethe.
Durch den reizvoll im englischen Stil angelegten Park an der Ilm gehen wir auf ein zweigeschossiges, weißes Gebäude mit Walmdach zu. Das Haus mit der durch zahlreiche hölzerne Rankhilfen strukturierten Fassade kommt auch vielen Besucherinnen und Besuchern bekannt vor, die erstmals in Weimar sind. Wir stehen vor Goethes Gartenhaus, und das schlichte und doch einprägsame Gebäude dürfte zu den meistabgebildeten Bauwerken Deutschlands gehören. Goethe erhielt es kurz nach seiner Ankunft vom jungen Herzog Carl August und hatte hier seinen ersten festen Wohnsitz in Weimar.
Auf unserem Rückweg in die Stadt passieren wir die Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Vielen Gästen dürften noch die schrecklichen Bilder des Brandes in Erinnerung sein. 2004 stand das Rokokoschlösschen, in das 1766 die bis dahin im Residenzschloss untergebrachte herzogliche Bibliothek einzog, in hellen Flammen. Eine restlos veraltete Elektroverkabelung war die Brandursache. Besonders tragisch dabei: der Austausch war bereits vorgesehen, die Sanierung stand unmittelbar bevor. Heute erstrahlt der Bibliothekssaal wiederhergestellt in seiner ursprünglichen Schönheit und kann besichtigt werden. Unwiederbringlich verloren sind 50.000 Bücher, die ältesten davon aus den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts, die dem Brand zum Opfer fielen. An der Restaurierung weiterer rund 118.000 Bände, die mehr oder weniger stark geschädigt wurden, beteiligen sich 27 Werkstätten in ganz Europa. Internationale Forschungsprojekte entstanden und die Arbeit ist noch lange nicht abgeschlossen.