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Weimar

 

6. Station:  Weimar - Die Stadt von Goethe, Schiller, Wieland und Herder
14. Juni 2020

Das kleine und beschauliche Residenzstädtchen Weimar war zu Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein zentraler Ort der europäischen Geisteswelt. Mit Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich von Schiller, Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland wirkten hier gleichzeitig vier herausragende Intellektuelle. Gemeinsam sollten sie den Begriff der Weimarer Klassik prägen und unter dem Einfluss von Aufklärung, Sturm und Drang und Romantik Literatur hervorbringen, die oft als Höhepunkt der deutschen Nationalliteratur bezeichnet wird. In ihrem Werk schlossen sie an die großen Denker der Antike und die klügsten Köpfe der Neuzeit an. Sie wiederum wurden zum Bezugspunkt für die folgenden Gelehrtengenerationen in unterschiedlichsten Sprachräumen. Weimar ist die Heimat einer zentralen Säule der gemeinsamen, Europa überspannenden, kulturellen Identität. Grund genug für das LeseZeichen, sich etwas genauer in dieser Stadt umzusehen, die sich selbst als Kulturstadt bezeichnet.

Der Markt im Herzen Weimars mit Rathaus, Stadthaus, Cranach-Haus und Hotel Elephant ist der zentrale Anlaufpunkt im Zentrum der Stadt.  Unzählige Reisegruppen aus aller Welt warten hier sommers wie winters erwartungsvoll auf ihre Gästeführer, gespannt auf Entdeckungen im Zentrum der deutschen Klassik. Auch für einen individuellen Rundgang eignet sich dieser Platz als Ausgangspunkt. Die  wichtigsten Gedächtnisorte sind alle nur wenige Schritte entfernt. Wir lassen die Wohnhäuser von Goethe und Schiller, das Nationaltheater und all die bedeutenden Sehenswürdigkeiten erst einmal rechts und links liegen und starten zu einem kleinen Morgenspaziergang. Vorbei am Stadtschloss führt uns der Weg aus der Innenstadt hinaus. Als Johann Wolfgang Goethe (das Adelsprädikat kam erst 1782 dazu) 1775 im Alter von 26 Jahren in die thüringische Kleinstadt zog, stand hier eine deprimierende Brandruine. Ein Jahr zuvor war das alte Schloss abgebrannt. Der Wiederaufbau war lange Zeit fraglich und startete erst Jahre später. Chef der Schlossbaukommission war Johann Wolfgang von Goethe.

Durch den reizvoll im englischen Stil angelegten Park an der Ilm gehen wir auf  ein zweigeschossiges, weißes Gebäude mit Walmdach zu. Das Haus mit der durch zahlreiche hölzerne Rankhilfen strukturierten Fassade kommt auch vielen Besucherinnen und Besuchern bekannt vor, die erstmals in Weimar sind. Wir stehen vor Goethes Gartenhaus, und das schlichte und doch einprägsame Gebäude dürfte zu den meistabgebildeten Bauwerken Deutschlands gehören. Goethe erhielt es kurz nach seiner Ankunft vom jungen Herzog Carl August  und hatte hier seinen ersten festen Wohnsitz in Weimar.
Sein Leben lang behielt er dieses Haus als Rückzugs- und Erholungsort. Immer wieder zog es ihn hinaus vor die Tore der Stadt. Hier fand der viel beschäftigte Schriftsteller, Staatsmann und Multifunktionär Ruhe zum Denken und Arbeiten. Die Zimmer sind noch original eingerichtet. Es bewegt, wenn man an Goethes Stehpult steht, an dem er viele Werke verfasst hat. Ebenso, wenn man von der gelbgestrichenen Bibliothek im ersten Stock den Blick in den Garten hinaus über das satte Grün schweifen lässt, wie es der Hausbesitzer einst getan haben wird. Beeindruckend auch im Erdgeschoss die zwei großen Stadtpläne von Rom, die jeweils eine ganze Wand einnehmen. Sie dienten Goethe einst als Gedächtnisstütze bei der Arbeit an seiner „Italienischen Reise“.
Auf unserem Rückweg in die Stadt passieren wir die Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Vielen Gästen dürften noch die schrecklichen Bilder des Brandes in Erinnerung sein. 2004 stand das Rokokoschlösschen, in das 1766 die bis dahin im Residenzschloss untergebrachte herzogliche Bibliothek einzog, in hellen Flammen. Eine restlos veraltete Elektroverkabelung war die Brandursache. Besonders tragisch dabei: der Austausch war bereits vorgesehen, die Sanierung stand unmittelbar bevor. Heute erstrahlt der Bibliothekssaal wiederhergestellt in seiner ursprünglichen Schönheit und kann besichtigt werden. Unwiederbringlich verloren sind 50.000 Bücher, die ältesten davon aus den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts, die dem Brand zum Opfer fielen. An der Restaurierung weiterer rund 118.000 Bände, die mehr oder weniger stark geschädigt wurden, beteiligen sich 27 Werkstätten in ganz Europa. Internationale Forschungsprojekte entstanden und die Arbeit ist noch lange nicht abgeschlossen.
Durch die Seifengasse, vorbei am Wohnhaus der Freifrau von Stein, Goethes langjähriger Vertrauter, nähern wir uns dem Frauenplan. Zu unserer Linken erhebt sich eine stattliche, gelbe Fassade mit zwei großen Toreinfahrten. Goethes Wohnhaus in Weimar. 1782 mietete der Dichter es an. Später konnte er es erwerben. Es sollte sein Wohnsitz bis zu seinem Tod im Jahre 1832 bleiben. Beim Rundgang durch die 18 Räume des 1707 erbauten und durch Goethe intensiv umgebauten Gebäudes wird die große Geisteswelt des in Frankfurt am Main geborenen Universalgenies deutlich. Eine umfangreiche Bibliothek durften wir erwarten, auch wenn sie in ihrer Größe mit 7.000 Bänden dann doch überrascht. Die großen kunst- und naturwissenschaftlichen Sammlungen zeugen von den umfassenden Interessen und Begabungen des Meisters, die weit über die Literatur hinausgingen. Wie umfassend sich Goethe beispielsweise mit Geologie und Mineralogie befasste, kommt immer wieder in seinen Briefen und Werken zum Ausdruck. Die Mineraliensammlung, die wir im Vorzimmer seines Arbeitszimmers bewundern können, würde jedem Geologen zur Ehre gereichen. Als Beamter und später Minister des Herzogtums Sachsen-Weimar konnte er seine Studien in diesem Bereich in der Praxis anwenden. Denn oft musste er sich mit Fragen des Bergbaus und des Straßen- und Wegebaus befassen. Die zahlreich ausgestellten Handschriften und Originalmanuskripte führen dazu, dass vielen Gästen der Abschied schwer fällt. 
Zurück auf der Straße könnten wir nun einen kurzen Abstecher zum Wielandplatz machen. Ein Denkmal erinnert hier an Christoph Martin Wieland. Dieser wurde 1772 von Herzogin Anna Amalie zur Erziehung des jugendlichen Herzogs Carl August nach Weimar gerufen. Er traf also als erster der großen vier in Weimar ein.  Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bereits einen Ruf als Schriftsteller, Dichter der Aufklärung und kongenialer Übersetzer der Werke Shakespeares gemacht. Sein Roman „Agathon“, der im antiken Griechenland angesiedelt ist, gilt als der erste Bildungs- und Erziehungsroman der Literaturgeschichte und dürfte ein wesentlicher Auslöser für seinen Ruf an den Hof zu Weimar gewesen sein. Mit seiner Übersetzung der shakespearschen Dramen und Komödien beeinflusste er nachhaltig die deutsche Theaterlandschaft. So wäre das Werk Friedrich Schillers ohne den prägenden Einfluss des Werks des zweihundert Jahre älteren Engländers nicht denkbar. Da Wieland nur einige Jahre am heutigen Wielandplatz lebte und der große Gedächtnisort für ihn Gut Oßmannstedt bei Weimar ist, das er etliche Jahre bewirtschaftete und wo er auch begraben ist, verzichten wir auf den Abstecher zum Denkmal und biegen direkt in die Schillerstraße ein um uns eben diesem gerade genannten Friedrich Schiller zuzuwenden.

Schiller, Schwabe wie Wieland, war bereits ein populärer Schriftsteller, als er 1789 ins Herzogtum kam um eine Professur an der Universität im 20 Kilometer entfernten Jena anzutreten. Im Laufe der Jahre entwickelte sich eine enge Freundschaft und Zusammenarbeit mit Goethe und Schiller siedelte ganz nach Weimar um. 1802 konnte er das Haus an der Esplanade erwerben, vor dem wir nun stehen. Nach schwierigen Jahren hatten sich seine finanziellen Verhältnisse seit einiger Zeit stabilisiert und er konnte diese Investition wagen.
Voller Freude schrieb er an seinen Verleger Georg Göschen: „Ich habe dieser Tage endlich einen alten Wunsch realisirt, ein eigenes Haus zu besitzen. Denn ich habe nun alle Gedanken an das Wegziehen von Weimar aufgegeben und denke hier zu leben und zu sterben.“ Leider kam das Sterben schneller als erwartet. An seinem Schreibtisch in der Mansarde des Hauses konnte er noch seine großen Dramen „Die Braut von Messina“ und „Wilhelm Tell“ vollenden. Doch schon 3 Jahre nach dem Einzug starb er im Alter von nur 45 Jahren in diesem Arbeitszimmer, das somit auch zu seinem Sterbezimmer wurde. Es ist ein bewegender Moment, wenn man nach einem Rundgang durch das Haus dieses Zimmer betritt. Goethe sollte wenige Wochen nach Schillers Tod sagen, er habe die Hälfte seines Daseins verloren.

Beinahe in direkter Nachbarschaft von Schillers Wohnhaus erreichen wir das Wittumspalais. Hier wird es Zeit, dass wir uns etwas genauer mit Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar und Eisenach befassen. Ihr Name ist schon mehrmals gefallen und ihr verdanken wir, dass Weimar zum kulturellen Zentrum wurde. Im Alter von sechzehn Jahren wurde die Prinzessin aus dem Hause Braunschweig-Wolfenbüttel mit Herzog Ernst August II. Constantin von Sachsen-Weimar und Eisenach vermählt. Nur zwei Jahre später verstarb im Mai 1758 ihr junger Ehemann. Anna Amalie wurde mit achtzehn Jahren zur Witwe und sollte dies 49 Jahre lang bis zu ihrem Tod im Jahre 1807 blieben. Ihr Sohn Erbprinz Carl August, der spätere enge Goethefreund, war zum Zeitpunkt des Todes seines Vaters noch keine neun Monate alt. Anna Amalie übernahm mutig die Regentschaft. Nach dem großen Schlossbrand erwarb sie das Wittumspalais und widmete sich hier, nachdem ihr Sohn alt genug war, die Regierung zu übernehmen, der Kunst, Musik und der Malerei. In den Räumen, die wir nun betreten, versammelte sie in ihrer Eigenschaft als Herzoginmutter den sogenannten „Musenhof“. Vor allem das Wohnzimmer und der Grüne Salon wurden für die legendären Abendgesellschaften genutzt. Hier kamen Schriftsteller, Künstler, Staatsdiener, Wissenschaftler und auch bürgerliche Unternehmer zusammen. Alles ist heute noch nahezu unverändert erhalten und versetzt die Besucherinnen und Besucher in die Zeit Anna Amalies zurück. Am liebsten würde man Platz nehmen und warten, bis Goethe und Wieland den Raum betreten und ihr Gespräch beginnen.
Nun sind es nur noch wenige Schritte bis zur vermutlich bekanntesten Ansicht Weimars. Wir stehen auf dem Theaterplatz vor dem berühmten Goethe-Schiller-Denkmal. Dahinter erhebt sich würdevoll das Große Haus des Nationaltheaters Weimar, zu Goethes und Schillers Zeiten noch Hoftheater genannt. Kaum ein Tourist, der hier nicht „sein“ Foto mit nach Hause nimmt. Die beiden Schriftsteller stehen hier vor dem Haus, in dem sie beide großartige Erfolge feierten, viele sogar gemeinsam. So wurden hier zahlreiche Werke Schillers, unter anderem die Wallenstein-Trilogie, „Maria Stuart“ und „Wilhelm Tell“ unter der Theaterleitung Goethes uraufgeführt.  Auch von Goethe kamen viele Stücke zur Aufführung. Genauso inszenierte er als Theaterleiter aber auch unzählige Stücke anderer Autoren. Und dies durchaus mit eigenen Vorstellungen. Von Shakespeares „Romeo und Julia“ schrieb er eine ganz eigene Bearbeitung um es für eine Bühnenaufführung nach seinem Geschmack anzupassen. Die Originalfassung entsprach offensichtlich nicht seinen Vorstellungen. Ein grundlegendes Problem mit dem englischen Autor hat er aber sicher nicht gehabt. In seinem Roman "Wilhelm Meisters Lehrjahre" beschäftigt sich der "Held" Wilhelm eingehend mit "Hamlet". Mit einer Theatergruppe führt er das Stück sogar auf.
Noch eine Station bleibt uns bei unserem kleinen Rundgang durch das überschaubare  ehemalige Residenzstädtchen: der Herderplatz mit der spätgotischen Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul, dem Pfarrhaus und dem Alten Gymnasium. Hier wirkte Johann Gottfried Herder, der vierte Große der Weimarer Klassiker,  27 Jahre als Pfarrer und Generalsuperintendent des Herzogtums Sachsen-Weimar. In Personalunion amtierte er zusätzlich fünfzehn Jahre als Direktor des Alten Gymnasiums. Neben seinen Schriften, die sich oft mit philosophischen Themen befassten, war die Kanzel dieser Kirche der Hauptwirkungsort des aus Ostpreußen zugewanderten Herders. Von Herzogin Anna Amalia ist überliefert, dass sie seine Predigten und vor allem den ruhigen und nüchternen Vortrag sehr schätzte.

Da das Pfarrhaus in schöner Kontinuität noch heute dem Superintendenten des Kirchenkreises Weimar als Wohnsitz dient, kann es nicht besichtigt werden. Offen steht aber der wunderschöne Pfarrgarten hinter dem Haus. Im Frühling blüht er in allen Farben und im Sommer und Herbst tragen die Obstbäume reiche Ernte. Dieser Garten lag Herder sehr am Herzen. 1994 wurde er aus Anlass des 250. Geburtstag des Hausherrn wiederhergestellt. Hinweise für die Gestaltung wurden seinen Briefen und einem alten Stadtplan entnommen.
Und somit sind wir am Ende unseres Rundgangs durch das Weimar der Klassiker angekommen. Wer nun noch nicht müde ist, dem schlagen wir vor, die Innenstadt noch einmal von Norden nach Süden zu durchkreuzen und den Tag auf dem Historische Friedhof ausklingen zu lassen. Hier in der Fürstengruft ruhen in schöner Eintracht der Titan des Geistes Johann Wolfgang von Goethe neben seinem Freund und Förderer Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach. Für Friedrich von Schiller, dessen Grabstätte unbekannt ist, wurde ein leeres Ehrengrab errichtet. Dichterfürsten neben Fürsten. Gibt es eine bessere Form, die Wertschätzung gegenüber diesen Größen des Geistes zum Ausdruck zu bringen?

Einen schönen Einblick in alle beschriebenen Gebäude bekommen wir durch die Klassik Stiftung Weimar:
Nach Weimar
Ein interessanter Rundgang durch das Goethehaus startet hier:
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