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Mannheim liest ein Buch

Raimund Gründler • 2. August 2022

Mannheim liest Beschreibung einer Krabbenwanderung

In vielen Städten wurde die Aktion bereits mit Erfolg durchgeführt, nun wird auch Mannheim zur „Lesestadt“. Das Konzept ist einfach: es wird ein Text in einer erschwinglichen Ausgabe ausgesucht, der zum „Buch der Stadt“ wird und das dann über mehrere Monate hinweg intensiv gelesen und diskutiert werden soll. Gewählt wird ein Buch, das ästhetisch heraussticht, das vielleicht auch herausfordert. Vor allem aber soll es Leserinnen und Leser unterschiedlicher Gruppen interessieren. Es soll Themen aufgreifen, mit denen sich eine Stadtgesellschaft beschäftigt.
In Mannheim haben sich auf Initiative des Nationaltheaters und der Universität Mannheim zahlreiche Organisationen zusammengefunden, die die erste Auflage von „Eine Stadt liest ein Buch“ im Zentrum der Metropolregion Rhein-Neckar gestalten wollen. Ausgewählt wurde der Roman »Beschreibung einer Krabbenwanderung« von Karosh Taha.
In den nächsten Wochen und Monaten werden durch Schulen und Hochschulen, Vereine und Bibliotheken, Theater und Kinos nun Lesungen und Gespräche, Podiumsdiskussionen und Performances, Workshops und Seminare entstehen, die um dieses Buch kreisen. Und selbstverständlich können auch private Initiativen, beispielsweise in Hausgemeinschaften und Nachbarschaften, in Sportvereinen oder Seniorenheimen, für eine gemeinsame Lesung oder Diskussion gestartet werden. Je mehr gelesen und diskutiert wird, desto besser. Auch das LeseZeichen wird sich mit einer Aktion zum Kernthema des Buchs beteiligen.

Karosh Taha, die Autorin des Buchs, das nun in Mannheim gelesen werden wird, wurde 1987 in Zaxo/Irak geboren. Im Alter von 10 Jahren kam sie mit ihren Eltern nach Deutschland, wo sie seither lebt. Nach ihrem Studium arbeitete sie einige Jahre als Gymnasiallehrerin, bevor sie sich dazu entschloss, sich vollkommen auf das Schreiben zu konzentrieren. Ihr Debütroman „Beschreibung einer Krabbenwanderung“ erschien 2018 und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Stipendium Deutscher Literaturfonds, dem Hohenemser Literaturpreis und der Alfred-Döblin-Medaille. 2020 erschien ihr ebenfalls hochgelobter zweiter Roman „Im Bauch der Königin“. Tahas Werk konzentriert sich stark auf die Erfahrungen junger Frauen mit Migrationshintergrund im Spannungsfeld zwischen der Lebenswelt ihrer Familien und dem Umfeld, auf das sie in Schule, Studium und Freizeit treffen. Man kann also davon ausgehen, dass die Werke stark autobiographisch geprägt sind.

In „Beschreibung einer Krabbenwanderung“ ist die Protagonistin zweiundzwanzig, lebt und studiert in Deutschland und hat zahlreiche Erinnerungen an eine Kindheit im Irak. Sie hat einen Freund und daneben noch einen Liebhaber, und sie hat Träume. Alles könnte gut sein, wäre da nicht die Realität, die sie immer wieder kneift, während sie träumt. Die Realität, das sind: Sanaas Mutter Asija, die unter Depressionen leidet. Ihr Vater Nasser, der sich von seiner Familie entfremdet hat. Ihre Schwester Helin, wütend, orientierungslos. Und ihre Tante Khalida, die Tag für Tag Tabak rauchend auf dem Sofa der Familie sitzt und über alles wacht. Sanaa rebelliert gegen die Enge ihres Umfelds, ringt um Luft zum Atmen, um Freiheit. Doch sie kann der Verantwortung für ihre Familie nicht entfliehen. Also kümmert sie sich und versucht ihrer aller Wunden zu heilen. Bis plötzlich alles, was sie sich an Freiheit erkämpft hat, auf dem Spiel steht. Eine arrangierte Heirat droht. Karosh Taha gelingt es auf mitreißende Weise den Kampf um Eigenständigkeit und Emanzipation von einer auf Bewahrung ausgelegten Welt zu beschreiben. Dies geschieht in einer stilistisch sicheren Erzählweise, von der sich die Leserinnen und Leser gerne in das Buch hinein ziehen lassen. Es gibt also viele Gründe, die rechtfertigen, dass gerade dieser Roman für die erste Auflage von „Mannheim liest ein Buch“ ausgewählt wurde. Auch das Thema passt hervorragend zu Mannheim. Im Hinblick auf das Ziel, Leserinnen und Leser möglichst unterschiedlicher Altersstufen einzubinden, hätte man sich vielleicht ein etwas familienfreundlicheres Buch gewünscht. Die Debatten, die vor etlichen Jahren geführt wurden, als „Katz und Maus“ von Günter Grass zur Schullektüre wurde, können an diesem Buch nahtlos wieder aufgenommen werden.
von Raimund Gründler 26. Januar 2025
Am 27. Januar 2025 jährt sich zum 80igsten Mal die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Seit 1996 wird dieser Tag in Deutschland als offizieller Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus begangen, 2005 erklärten ihn die Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. In einer Zeit, in der Dinge, die jahrzehntelang als unsagbar galten, plötzlich wieder ungeniert verbreitet werden, in einer Zeit, in der wieder die Entrechtung von Menschen gefordert wird, ist so ein Gedenktag wichtiger und notwendiger denn je. Dabei kommt den Stimmen der Überlebenden eine ganz besondere Bedeutung zu. Sie dürfen nicht in Vergessenheit geraten und müssen uns Mahnung für unser Handeln sein. Achtzig Jahre nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Terrorsystems wird die Zahl der Zeitzeugen leider von Jahr zu Jahr geringer. Immer weniger Menschen können den nachfolgenden Generationen aus eigener Erfahrung von den Schrecken der nationalsozialistischen Herrschaft berichten. Immer seltener werden damit die Stimmen, die aus eigenem Erleben berichten können, zu welchen Exzessen totalitäre Systeme führen können und was es bedeutet, wenn die Bewahrung der Würde jedes einzelnen Menschen unabhängig von seiner Herkunft und Religion nicht mehr oberste Maxime eines Staates ist. Umso wichtiger ist es, dass die Texte, die uns Überlebende hinterlassen haben, von Generation zu Generation weitergegeben werden. Sie machen am Einzelschicksal deutlich, was die totale Entrechtung jeweils für einen einzelnen Menschen bedeutete. Solche Bücher müssen immer wieder neu diskutiert und weiter gegeben werden damit die Erinnerungen dieser Menschen im öffentlichen Gedächtnis nicht verblassen. Drei dieser Bücher wollen wir Ihnen heute am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus besonders empfehlen. Max Mannheimer: Drei Leben - Erinnerungen „Drei Leben“ das sind die unbeschwerte Jugend vor dem Anschluss des Sudentenlandes an das Deutsche Reich, das Überleben der Konzentrationslager Auschwitz und Dachau, und das Leben danach, das Mannheimer trotz seiner Erlebnisse tatkräftig und optimistisch gestaltete. Primo Levi: Ist das ein Mensch Der Bericht des italienischen Ausschwitz-Überlebenden wurde bereits 1947 veröffentlicht. Er gehört also zu den frühesten niedergeschriebenen Zeugnissen. Bis heute gilt er als eine der eindrucksvollsten Beschreibungen des Terrors und des Schreckens in den Konzentrationslagern. Ginette Kolinka: Rückkehr nach Birkenau – Wie ich überlebt habe Kolinka wurde aus ihrer französischen Heimat nach Auschwitz verbracht. Durch den nüchternen Stil ihrer Erzählung erfassen die Schrecken des Lageralltags mit Angst, Hunger, Dreck und Gestank die Leserinnen und Leser besonders unvermittelt. Dies sind nur drei Leseempfehlungen. Viele andere Lesenswerte Bücher bleiben ungenannt. Eine viel umfassendere Liste hat das Kulturmagazin Perlentaucher zusammengestellt, die wir Ihnen empfehlen und die Sie hier finden .
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Leipziger Skizzenbuch mit Skizzen von Niels Gormsen und Gedichten von Manfred Klenk, Ralph Grüneberger und Michael Augustin führt in die sächsische Messestadt.
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