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Stadt ohne Juden

Raimund Gründler • 22. Februar 2024

Ein Roman von 1922 für die heutige Zeit

„Stadt ohne Juden“ erschien bereits 1922. In einer Zeit, in der rechtsextreme Kräfte von Remigration fantasieren, ist es aber Zeit, diese bitterböse Satire des Wiener Autors Hugo Bettauer wieder einmal oder erstmals in die Hand zu nehmen.

Als dieses Buch geschrieben wurde, lag die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Berlin und der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich noch in der Zukunft. Ein lebhafter Antisemitismus brach sich aber sowohl in Deutschland wie auch in Österreich bereits zu diesem Zeitpunkt seine Bahn. Da griff der Journalist und Schriftsteller Hugo Bettauer zur Feder und schrieb seinen Roman „Stadt ohne Juden“, den er noch mit dem prophetischen Untertitel „Ein Roman von übermorgen“ versah. 

Fanatische Antisemiten sehen ihr Volk durch eine vermeintlich jüdische Dominanz bedroht. Als sie in die Regierung gewählt werden, bringen sie ein Gesetzt durch die Nationalversammlung, das alle Juden bis zum Jahresende zur Auswanderung zwingt. Auf persönliche Härtefälle wird keine Rücksicht genommen. Selbstverständlich werden auch Paare getrennt. Doch schon nach kurzer Zeit stellt sich Ernüchterung ein. Das Kulturleben verarmt, viele Kaffeehäuser stehen leer und nach einem anfänglichen Aufschwung geht es auch mit der Wirtschaft bergab. Der Handel verlagert sich in andere Städte, vor allem nach Prag und Budapest. Die Arbeitslosigkeit und die Inflation schnellen nach oben. Es kommt, wie es kommen muss: die öffentliche Stimmung kippt. 
Auch wenn der Autor an der einen oder anderen Stelle etwas dick aufträgt und die Erzählung auf den letzten Seiten etwas in die kitschige Richtung abdriftet, lohnt sich die Lektüre heute wieder. Man ersetze in Gedanken nur an der einen oder anderen Stelle das Wort „Juden“ durch die Begriffe „Migranten“ oder „Ausländer“ und vergleiche dann den Text mit aktuellen Diskussionen und Forderungen.

„Die Stadt ohne Juden“ war 1922 ein ungeheurer Erfolg. Gleichzeitig löste sie große Diskussionen aus. Die rechtsnationalen Kräfte waren empört und forderten Konsequenzen. Diese folgten auch. Drei Jahre später wurde Bettauer von einem 21jährigen Mann niedergeschossen und verstarb an den Folgen dieses Attentats. Die Hintergründe des Anschlags wurden nie ganz aufgeklärt. War es ein Mordkomplott? Und war der Auslöser der Roman „Die Stadt ohne Juden“ oder waren es einige andere Schriften, die wegen ihrer angeblichen Sittenlosigkeit ebenfalls heiß diskutiert wurden. Der Attentäter rühmte sich auf alle Fälle noch 50 Jahre später der „Auslöschung“ Hugo Bettauers.

„Die Stadt ohne Juden“ von Hugo Bettauer ist im Nachdruck bei mehreren Verlagen verfügbar, beispielsweise im LIWI Literatur- und Wissenschaftsverlag Göttingen, 9,99 Euro 

von Raimund Gründler 26. Januar 2025
Am 27. Januar 2025 jährt sich zum 80igsten Mal die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Seit 1996 wird dieser Tag in Deutschland als offizieller Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus begangen, 2005 erklärten ihn die Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. In einer Zeit, in der Dinge, die jahrzehntelang als unsagbar galten, plötzlich wieder ungeniert verbreitet werden, in einer Zeit, in der wieder die Entrechtung von Menschen gefordert wird, ist so ein Gedenktag wichtiger und notwendiger denn je. Dabei kommt den Stimmen der Überlebenden eine ganz besondere Bedeutung zu. Sie dürfen nicht in Vergessenheit geraten und müssen uns Mahnung für unser Handeln sein. Achtzig Jahre nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Terrorsystems wird die Zahl der Zeitzeugen leider von Jahr zu Jahr geringer. Immer weniger Menschen können den nachfolgenden Generationen aus eigener Erfahrung von den Schrecken der nationalsozialistischen Herrschaft berichten. Immer seltener werden damit die Stimmen, die aus eigenem Erleben berichten können, zu welchen Exzessen totalitäre Systeme führen können und was es bedeutet, wenn die Bewahrung der Würde jedes einzelnen Menschen unabhängig von seiner Herkunft und Religion nicht mehr oberste Maxime eines Staates ist. Umso wichtiger ist es, dass die Texte, die uns Überlebende hinterlassen haben, von Generation zu Generation weitergegeben werden. Sie machen am Einzelschicksal deutlich, was die totale Entrechtung jeweils für einen einzelnen Menschen bedeutete. Solche Bücher müssen immer wieder neu diskutiert und weiter gegeben werden damit die Erinnerungen dieser Menschen im öffentlichen Gedächtnis nicht verblassen. Drei dieser Bücher wollen wir Ihnen heute am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus besonders empfehlen. Max Mannheimer: Drei Leben - Erinnerungen „Drei Leben“ das sind die unbeschwerte Jugend vor dem Anschluss des Sudentenlandes an das Deutsche Reich, das Überleben der Konzentrationslager Auschwitz und Dachau, und das Leben danach, das Mannheimer trotz seiner Erlebnisse tatkräftig und optimistisch gestaltete. Primo Levi: Ist das ein Mensch Der Bericht des italienischen Ausschwitz-Überlebenden wurde bereits 1947 veröffentlicht. Er gehört also zu den frühesten niedergeschriebenen Zeugnissen. Bis heute gilt er als eine der eindrucksvollsten Beschreibungen des Terrors und des Schreckens in den Konzentrationslagern. Ginette Kolinka: Rückkehr nach Birkenau – Wie ich überlebt habe Kolinka wurde aus ihrer französischen Heimat nach Auschwitz verbracht. Durch den nüchternen Stil ihrer Erzählung erfassen die Schrecken des Lageralltags mit Angst, Hunger, Dreck und Gestank die Leserinnen und Leser besonders unvermittelt. Dies sind nur drei Leseempfehlungen. Viele andere Lesenswerte Bücher bleiben ungenannt. Eine viel umfassendere Liste hat das Kulturmagazin Perlentaucher zusammengestellt, die wir Ihnen empfehlen und die Sie hier finden .
von Raimund Gründler 9. Oktober 2024
Kurzbesprechung des Romans "Lichtungen" von Iris Wolff.
Spaziergänge durch die Banlieues
von Raimund Gründler 16. Juli 2024
Die Banlieues von Paris - Soziale Brennpunkte und Austragungsort olympischerWettkämpfe. Anne Weber führt uns auf zahlreichen Spaziergängen durch diese widersprüchliche Welt.
Vorstellung von
von Raimund Gründler 18. Mai 2024
"Mannheim liest ein Buch" geht 2024 in die 3. Runde. Glesen wird "Drei Kameradinnen" von Shida Bazyar. Wir stellen ihnen das Buch vor.
9. April 2024
Michael Augustin widmet Czernowitz ein Gedicht - eine beeindruckende Homage dieser bedrängten Stadt.
von Raimund Gründler 28. Januar 2024
Kurzbesprechung des Buchs "In einem alten Haus in Berlin" des Gerstenberg Verlags.
von Raimund Gründler 2. August 2022
Mannheim liest "Beschreibung einer Krabbenwanderung". Das ist ein Buch, das hervorragend zu Mannheim passt.
von Raimund Gründler 22. Mai 2022
Mit "Kein Haus aus Sand" legt Anja Kampmann ein beeindruckendes Hörspiel vor, das mit Stimmen der Vergangenheit die aktuelle Situation in Europa reflektiert.
von Raimund Gründler 25. April 2022
Schon über zwei Monate tobt der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Intensiv wird in Deutschland die Frage diskutiert, wie vor diesem Hintergrund mit russischer Kultur und russischen Künstlern in Deutschland umgegangen werden soll. Wir stellen Ihnen heute einen Roman vor, der einen Blick ins oppositionelle Russland gewährt, der aber auch erahnen lässt, wieso eine wirkungsvolle Opposition gegen Wladimir Putin schon in den letzten Jahren nicht zustande kam.
von Raimund Gründler 20. März 2022
Leipziger Skizzenbuch mit Skizzen von Niels Gormsen und Gedichten von Manfred Klenk, Ralph Grüneberger und Michael Augustin führt in die sächsische Messestadt.
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