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"Februar 33 - Der Winter der Literatur"

Raimund Gründler • 22. November 2021

Ein Monat, in dem die Welt aus den Fugen gerät.

Bücher über das Ende der Weimarer Republik und die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 füllen ganze Regale. Man könnte meinen, dass dieser dunkle Moment der deutschen Geschichte in allen Einzelheiten analysiert und erzählt ist. Und doch gelingt es dem Literaturkritiker und Journalisten Uwe Wittstock durch eine geschickte Wahl der Perspektive einen besonders klaren Blick auf diese entscheidenden Tage zu eröffnen. Sein im August vorgelegtes Buch „Februar 33 – Der Winter der Literatur“ kann durchaus zu den Höhepunkten des Bücherherbsts 2021 gezählt werden.

Chronologisch stellt der Autor Ereignisse dar, die sich zwischen dem 28. Januar und dem 15. März 1933 abspielten. Also von den Tagen direkt vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler bis zu den Tagen nach der Reichstagswahl am 5. März 1933. Was auf den ersten Blick wie eine Aneinanderreihung einzelner Berichte der Erlebnisse verschiedener Autorinnen und Autoren, Verleger und Journalisten erscheint, fügt sich zu einem Gesamtbild von großer Dichte.
Die Leserinnen und Leser erleben, wie Theaterstücke von Bertolt Brecht oder Else Lasker-Schüler von den Spielplänen der Theater verschwanden, Heinrich Mann und Käthe Kollwitz aus der Akademie der Künste hinausgedrängt werden, Alfred Döblin sich in letzter Minute noch in die Schweiz absetzen kann und Carl von Ossietzky verhaftet wird. Von Tag zu Tag verfolgt Wittstock, wie das glanzvolle literarische Leben der Weimarer Zeit in wenigen Wochen zusammenbricht. Auch wer von sich meint, in der jüngeren Geschichte bewandert zu sein, ist von der Geschwindigkeit des kompletten Zusammenbruchs des demokratischen Staatswesens aufs Neue erschüttert. Am Beispiel der einzelnen Schriftstellerinnen und Schriftsteller wird aufgezeigt, wie Leistungen und Verdienste von einem Tag zum anderen nichts mehr zählen.

Auch wenn Wittstock die Tage weitgehend anhand der Schicksale der Literaten erzählt, gelingt ihm eine generelle Darstellung der Etablierung der nationalsozialistischen Epoche. Die Fehleinschätzung bürgerlich-konservativer Kräfte wird ebenso deutlich wie die Verantwortung des Reichspräsidenten. Und es wird sichtbar, wie gezielt freigesetzte staatliche Willkür und professionell instrumentierte Gewaltausbrüche wesentliche Faktoren dieser Tage waren.
Ein lesenswertes Buch, das die Darstellung einer dramatischen historischen Epoche mit einem Streifzug durch die literarische Szene ihrer Zeit verbindet.

„Februar 33 – Der Winter der Literatur“ von Uwe Wittstock ist erschienen im Verlag C.H. Beck, 288 Seiten, 24,-- €.
von Raimund Gründler 26. Januar 2025
Am 27. Januar 2025 jährt sich zum 80igsten Mal die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Seit 1996 wird dieser Tag in Deutschland als offizieller Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus begangen, 2005 erklärten ihn die Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. In einer Zeit, in der Dinge, die jahrzehntelang als unsagbar galten, plötzlich wieder ungeniert verbreitet werden, in einer Zeit, in der wieder die Entrechtung von Menschen gefordert wird, ist so ein Gedenktag wichtiger und notwendiger denn je. Dabei kommt den Stimmen der Überlebenden eine ganz besondere Bedeutung zu. Sie dürfen nicht in Vergessenheit geraten und müssen uns Mahnung für unser Handeln sein. Achtzig Jahre nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Terrorsystems wird die Zahl der Zeitzeugen leider von Jahr zu Jahr geringer. Immer weniger Menschen können den nachfolgenden Generationen aus eigener Erfahrung von den Schrecken der nationalsozialistischen Herrschaft berichten. Immer seltener werden damit die Stimmen, die aus eigenem Erleben berichten können, zu welchen Exzessen totalitäre Systeme führen können und was es bedeutet, wenn die Bewahrung der Würde jedes einzelnen Menschen unabhängig von seiner Herkunft und Religion nicht mehr oberste Maxime eines Staates ist. Umso wichtiger ist es, dass die Texte, die uns Überlebende hinterlassen haben, von Generation zu Generation weitergegeben werden. Sie machen am Einzelschicksal deutlich, was die totale Entrechtung jeweils für einen einzelnen Menschen bedeutete. Solche Bücher müssen immer wieder neu diskutiert und weiter gegeben werden damit die Erinnerungen dieser Menschen im öffentlichen Gedächtnis nicht verblassen. Drei dieser Bücher wollen wir Ihnen heute am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus besonders empfehlen. Max Mannheimer: Drei Leben - Erinnerungen „Drei Leben“ das sind die unbeschwerte Jugend vor dem Anschluss des Sudentenlandes an das Deutsche Reich, das Überleben der Konzentrationslager Auschwitz und Dachau, und das Leben danach, das Mannheimer trotz seiner Erlebnisse tatkräftig und optimistisch gestaltete. Primo Levi: Ist das ein Mensch Der Bericht des italienischen Ausschwitz-Überlebenden wurde bereits 1947 veröffentlicht. Er gehört also zu den frühesten niedergeschriebenen Zeugnissen. Bis heute gilt er als eine der eindrucksvollsten Beschreibungen des Terrors und des Schreckens in den Konzentrationslagern. Ginette Kolinka: Rückkehr nach Birkenau – Wie ich überlebt habe Kolinka wurde aus ihrer französischen Heimat nach Auschwitz verbracht. Durch den nüchternen Stil ihrer Erzählung erfassen die Schrecken des Lageralltags mit Angst, Hunger, Dreck und Gestank die Leserinnen und Leser besonders unvermittelt. Dies sind nur drei Leseempfehlungen. Viele andere Lesenswerte Bücher bleiben ungenannt. Eine viel umfassendere Liste hat das Kulturmagazin Perlentaucher zusammengestellt, die wir Ihnen empfehlen und die Sie hier finden .
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Mit "Kein Haus aus Sand" legt Anja Kampmann ein beeindruckendes Hörspiel vor, das mit Stimmen der Vergangenheit die aktuelle Situation in Europa reflektiert.
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Schon über zwei Monate tobt der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Intensiv wird in Deutschland die Frage diskutiert, wie vor diesem Hintergrund mit russischer Kultur und russischen Künstlern in Deutschland umgegangen werden soll. Wir stellen Ihnen heute einen Roman vor, der einen Blick ins oppositionelle Russland gewährt, der aber auch erahnen lässt, wieso eine wirkungsvolle Opposition gegen Wladimir Putin schon in den letzten Jahren nicht zustande kam.
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