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LeseTipp: "Mein Nidden - Auf der Kurischen Nehrung" von Frido Mann.

Raimund Gründler • 13. August 2020

"Mein Nidden" - Familie Mann, das Ferienhaus und die Kurische Nehrung.

Ein Sommerhaus an der Ostsee. Mancher träumt in diesen heißen Tagen davon. Was kann es Schöneres geben als eine Prise frischer Seeluft und dann noch einem Sprung ins kühle Nass. Für den Literaturnobelpreisträger Thomas Mann blieb dies kein Traum. Bei einem kurzen Sommeraufenthalt in Nidden 1929 beeindruckte ihn die Kurische Nehrung so stark, dass er sich dort ein Sommerhaus bauen ließ, das er schon im folgenden Sommer beziehen konnte. Die Schönheit der Landschaft mit ihren schier unendlichen weißen Dünen und den tiefen Wäldern, dazu die hier für ihre Verhältnisse wilde Ostsee, hatten den Autor in ihren Bann gezogen. Hinzu kamen die Elche, die man auf Spazierfahrten in den Wäldern beobachten konnte und die es der Familie besonders angetan hatten. Selbst die mühsame, mehrtägige Anfahrt mit Nachtzügen über Berlin und Königsberg konnte ihn nicht abschrecken.

Drei sehr schöne, lange Sommerferien konnte die Familie Mann in diesem Idyll verbringen, bevor die politischen Verhältnisse eine Rückkehr unmöglich machen. Thomas Mann hatte sich in den letzten Jahren der Weimarer Republik mehrmals deutlich gegen den immer stärker an Einfluss gewinnenden Nationalsozialismus gewandt. Entsprechend war er sich der Gefahr bewusst, der er und seine Familie nach der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 ausgesetzt war. Mitte Februar brach er zu einer Vortragsreise nach Amsterdam, Brüssel und Paris auf, von der er nicht mehr nach Deutschland zurückkehren sollte. Obwohl Nidden wenige Kilometer jenseits der Deutschen Reichsgrenze in Litauen lag, war eine Reise in das Ferienhaus zu gefährlich. Schon im Rahmen des letzten Aufenthalts wurde der Einfluss, den die Nazis über die Grenze entfalteten, bedrohlich. So lag plötzlich als klar formulierte Warnung erkennbar ein stark verkohltes, aber gerade noch erkennbares Exemplar der „Buddenbrooks“ am Gartenzaun. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde auch der nördliche Teil der kurischen Nehrung gemeinsam mit dem Memelland dem Deutschen Reich einverleibt. Nach Kriegsende war es Teil der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik und seit 1990 gehört es unter seinem litauischen Namen Nida zur Republik Litauen.

Diese verschiedenen nationalen Verschiebungen hatten alle auch direkte Auswirkungen auf das Ferienhaus von Thomas Mann. Erst stand es leer, im Dritten Reich beschlagnahmt und dem Reichsmarschall und Reichsjägermeister Hermann Göring zugeschlagen, stand es nach Beschädigungen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs länger als Ruine auf seinem Hügel. Engagierte Literaturfreunde erreichten noch zu Sowjetzeiten, dass das Haus saniert werden konnte und ein Thomas-Mann-Kulturzentrum eingerichtet werden durfte. Es war die einzige Gedenkstätte für einen deutschsprachigen Schriftsteller auf sowjetischem Boden, und sie wurde wahrgenommen. Das Kulturzentrum hat alle politischen Wendungen überstanden und sich beständig weiter entwickelt. Heute ist das Ferienhaus von Thomas Mann ein viel besuchtes Museum, das zu den bekannten Sehenswürdigkeiten Litauens gehört. Gleichzeitig dient es als internationale Begegnungsstätte und jährlich veranstaltet das Kulturzentrum ein beachtliches Literatur- und Musikfestival mit internationaler Besetzung.

Die Geschichte dieses Ferienhauses, von der Entstehung bis zum heutigen Tag, hat Frido Mann, der älteste Enkel von Thomas Mann, in dem kleinen Band „Mein Nidden – auf der Kurischen Nehrung“ zusammengefasst. Als er 1937 geboren wurde, war das Paradies über den weißen Sandstränden bereits verloren. Aus den vielfältigen Erinnerungen verschiedener Familienmitglieder, die hier liebevoll zusammengestellt sind, ergibt sich jedoch ein vielschichtiges Bild, das weit über die Beschreibung des Hauses und der Ferientage hinaus einen persönlichen Blick auf diese so bedeutende Familie ermöglicht. Gleichzeitig wird das Buch durch die Einbeziehung der historischen Zusammenhänge zu einer kurzen Beschreibung der bewegten Geschichte der kurischen Nehrung im 20. Jahrhundert. Und nicht zu vergessen, die zahlreichen Begegnungen im Zusammenhang mit der Arbeit des Thomas-Mann-Kulturzentrums, das der Nachkomme des großen Literaten tatkräftig unterstützt. Hier wird Zeitgeschichte lebendig. Viel für ein Buch mit gerade einmal 180 Seiten. Dem ehemaligen Professor für Psychologie der Universität Münster gelingt es, diese ganzen Themen so elegant zusammen zu führen, dass ein lesenswertes und lesbares Buch entsteht. Eine sehr schöne Ferienlektüre – vollkommen unabhängig davon, ob das Buch nun am Strand oder auf dem heimischen Balkon ausgepackt wird.
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Am 27. Januar 2025 jährt sich zum 80igsten Mal die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Seit 1996 wird dieser Tag in Deutschland als offizieller Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus begangen, 2005 erklärten ihn die Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. In einer Zeit, in der Dinge, die jahrzehntelang als unsagbar galten, plötzlich wieder ungeniert verbreitet werden, in einer Zeit, in der wieder die Entrechtung von Menschen gefordert wird, ist so ein Gedenktag wichtiger und notwendiger denn je. Dabei kommt den Stimmen der Überlebenden eine ganz besondere Bedeutung zu. Sie dürfen nicht in Vergessenheit geraten und müssen uns Mahnung für unser Handeln sein. Achtzig Jahre nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Terrorsystems wird die Zahl der Zeitzeugen leider von Jahr zu Jahr geringer. Immer weniger Menschen können den nachfolgenden Generationen aus eigener Erfahrung von den Schrecken der nationalsozialistischen Herrschaft berichten. Immer seltener werden damit die Stimmen, die aus eigenem Erleben berichten können, zu welchen Exzessen totalitäre Systeme führen können und was es bedeutet, wenn die Bewahrung der Würde jedes einzelnen Menschen unabhängig von seiner Herkunft und Religion nicht mehr oberste Maxime eines Staates ist. Umso wichtiger ist es, dass die Texte, die uns Überlebende hinterlassen haben, von Generation zu Generation weitergegeben werden. Sie machen am Einzelschicksal deutlich, was die totale Entrechtung jeweils für einen einzelnen Menschen bedeutete. Solche Bücher müssen immer wieder neu diskutiert und weiter gegeben werden damit die Erinnerungen dieser Menschen im öffentlichen Gedächtnis nicht verblassen. Drei dieser Bücher wollen wir Ihnen heute am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus besonders empfehlen. Max Mannheimer: Drei Leben - Erinnerungen „Drei Leben“ das sind die unbeschwerte Jugend vor dem Anschluss des Sudentenlandes an das Deutsche Reich, das Überleben der Konzentrationslager Auschwitz und Dachau, und das Leben danach, das Mannheimer trotz seiner Erlebnisse tatkräftig und optimistisch gestaltete. Primo Levi: Ist das ein Mensch Der Bericht des italienischen Ausschwitz-Überlebenden wurde bereits 1947 veröffentlicht. Er gehört also zu den frühesten niedergeschriebenen Zeugnissen. Bis heute gilt er als eine der eindrucksvollsten Beschreibungen des Terrors und des Schreckens in den Konzentrationslagern. Ginette Kolinka: Rückkehr nach Birkenau – Wie ich überlebt habe Kolinka wurde aus ihrer französischen Heimat nach Auschwitz verbracht. Durch den nüchternen Stil ihrer Erzählung erfassen die Schrecken des Lageralltags mit Angst, Hunger, Dreck und Gestank die Leserinnen und Leser besonders unvermittelt. Dies sind nur drei Leseempfehlungen. Viele andere Lesenswerte Bücher bleiben ungenannt. Eine viel umfassendere Liste hat das Kulturmagazin Perlentaucher zusammengestellt, die wir Ihnen empfehlen und die Sie hier finden .
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